Klimaneutral durch Kompensationszahlungen?

Klimakompensation

12.07.2023 Ist Klimakompensation das geeignete Mittel, um Treibhausneutralität zu erreichen? Foto: Pixabay/Hans

Klimaneutral durch Kompensationszahlungen?

Liebe Leserin, lieber Leser,

was bringt Klimakompensation? Meine Mandanten – mittelständische Unternehmen und Konzerne – streben im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie natürlich auch nach Treibhausgasneutralität. Manche denken darüber nach, freiwillig in Klimakompensationsprojekte zu investieren. Und liebäugeln dabei mit Labels, die sogar Klimaneutralität versprechen.

Doch Vorsicht! Ein Klimaneutral-Label zu verwenden kann unter Umständen sogar als Greenwashing zählen.

Klimakompensation und die Greenwashing-Problematik

Der Begriff Klimaneutralität ist schwammig. Eine einheitliche Definition fehlt. Eine besagt, dass durch menschliche Aktivität in Summe das Klima nicht beeinflusst wird. Präziser wäre im Kontext von Treibhausgaskompensation meines Erachtens der Begriff der Treibhausgasneutralität. Dieser wird in der Wissenschaft für Aktivitäten verwendet, bei denen entweder keine Treibhausgase in die Atmosphäre emittiert werden oder bei denen die Emissionen vollständig durch negative Emissionen ausgeglichen werden, es also insgesamt zu keinem Konzentrationsanstieg der Gase kommt. (1)

Die Zertifikate zur Treibhausgasneutralität stellen Kompensationsdienstleister aus, wenn Unternehmen ihre Treibhausgas-Emissionen durch Zahlungen an Klimakompensationsprojekte rechnerisch ausgeglichen haben. Über die Investition in ein Klimaprojekt sollen genauso so viele Emissionen ausgeglichen werden, wie das Unternehmen laut Treibhausgasbilanz (Corporate Carbon Footprint) in einem Jahr ausgestoßen hat oder ein Produkt/eine Dienstleistung (Product Carbon Footprint) verursacht hat.

Doch seit diesem Jahr bieten einige Kompensationsdienstleister wie ClimatePartner oder MyClimate keine „Klimaneutral“-Labels mehr für Unternehmen und Produkte an. Stattdessen heißen die Labels nun bei MyClimate „Wirkt. Nachhaltig“ oder „ClimatePartner-zertifiziert“. Dafür könnte es mehrere Gründe geben.

Zum Ersten hatte die Europäische Kommission im März 2023 einen Entwurf für ein Anti-Greenwashing-Gesetz vorgelegt. Tritt das Gesetz in Kraft, darf nur noch mit dem Begriff „klimaneutral“ geworben werden, wenn dies vom Unternehmen auf Basis einer wissenschaftlich fundierten Analyse aller wesentlichen Umweltauswirkungen bewiesen werden kann. Ein unabhängiger Gutachter muss zudem die Angaben überprüfen, bevor sie veröffentlicht werden dürfen. Können Unternehmen ihre Behauptung zur Klimaneutralität nicht beweisen, drohen finanzielle Strafen. (2)

Zum Zweiten klagen Umweltschutzverbände und Verbraucherschützer gegen diverse Unternehmen wegen Greenwashing.  Laut der Deutschen Umwelthilfe (DUH) werden die Verbraucher irreführend und unzureichend informiert, wie diese Unternehmen zum Versprechen der angeblichen Klimaneutralität kommen. DUH geht deswegen gegen namhafte Unternehmen vor, wie HelloFresh, Eurowings, Faber-Castell, Netto, Danone, Tyczka Energy, 1. FC Köln, Beiersdorf, Rossmann, Shell, BP und Total Energies. (3)

Und zum Dritten zeigen viele Klimaschutzprojekte – auch die beliebten Waldprojekte –  nicht die versprochenen Wirkungen.

Qualität der Klimaschutzprojekte ist durchwachsen

Etablierte Kompensationsdienstleister wie beispielsweise

Klima-Kollekte https://klima-kollekte.de/

ClimatePartner https://www.climatepartner.com/de

atmosfair https://www.atmosfair.de/de/

myclimate https://www.myclimate.org/de/

bieten Projekte zur Treibhausgaskompensation an, die internationale Standards zum Nachweis der Treibhausgasminderung erfüllen. Zu den wichtigsten Standards zählen Gold Standard, Verified Carbon Standard (VCS) und Clean Development Mechanism (CDM). (4)

Doch bei den angebotenen Klimaprojekten gibt es – trotz der Anwendung dieser Standards – große Qualitätsunterschiede. Recherchen von Umweltorganisationen und Medien haben nachgewiesen, dass viele Kompensationsprojekte nicht die versprochenen Klimawirkungen zeigen. Kritische Berichte dazu gibt es reichlich. (5)

Treibhausgasemissionen können in diversen Bereichen kompensiert werden, wie beispielsweise mit Hilfe von Projekten zu erneuerbaren Energien (Solarenergie, Wasserkraft, Biogas), zum Einsatz von energieeffizienten Kochöfen, zur Umweltbildung etc. Oder über Waldprojekte, die jedoch umstritten sind.

Die Organisation atmosfair beispielsweise bietet keine Waldprojekte an, aufgrund diverser Risiken: (6)

  • „Keine Garantie der dauerhaften CO-Bindung (Permanenz)
    Das Problem der Dauerhaftigkeit (Permanenz) ist bei Waldprojekten ungelöst. Wenn der Wald abgeholzt wird oder aus anderen Gründen verschwindet (z.B. durch Schädlingsbefall), wird das gespeicherte CO₂ wieder freigesetzt. Das CO₂ ist also nur so lange gebunden, wie die aufgebaute Biomasse nicht zersetzt wird. Ein Wald muss mindestens 50, wenn nicht 100 Jahre bestehen, um eine nennenswerte Klimawirkung zu haben, da dann die Freisetzung einer beachtliche Menge CO₂ an die Atmosphäre verzögert wird.
  • Hohes Risiko für Nutzungskonflikte; und damit verbunden Leakage und unzureichende Wahrung von Menschenrechten
    Ferner ist das Leakage-Problem ungelöst: Wenn Akteure oder andere Ursachen für Abholzung durch ein Waldprojekt nur in andere Waldteile außerhalb der Grenzen des Waldprojektes verlagert werden, dann entstehen zwar einerseits CO₂-Zertifikate im Projekt, aber Wald wird dennoch anderswo abgeholzt. Zudem gibt es Beispiele, in denen es bei zertifizierten Waldprojekten mehrfach zu Menschenrechtsverletzungen kam. Ein Beispiel hierfür sind Vertreibungen im Kikonda Aufforstungsprojekt in Uganda, einem unter dem Gold Standard zertifizierten Projekt, über die 2016 unter anderem von der Journalistin Susanne Götze auf Spiegel online berichtet wurde.
  • Notwendigkeit der Vorabfinanzierung für CO-Kompensation können Projektfinanzierung gefährden
    Eine Vorabfinanzierung der Aufforstung ist notwendig, da die lokale Bevölkerung die Zahlungen sofort benötigt. Jedoch zahlt der Kunde so für einen Wald, der erst noch aufgeforstet werden muss. Wird der Wald zerstört, kann der Kunde trotzdem kommunizieren, dass er seine Emissionen kompensiert hat. Vorher oder nachher zu zahlen – beides ist daher schwierig.“

Waldschutz finde ich sehr wichtig. Doch im Kontext von Klimakompensation sehe ich Waldprojekte aufgrund der vorgenannten Risiken dann doch als eher ungeeignet an.

Tipps + Kicks

Wie sollten Unternehmen also vorgehen, um das Klima zu schützen? Ich empfehle meinen Mandanten, in einem ersten Schritt eine belastbare Treibhausgasbilanzierung für das Unternehmen und die Produkte vorzunehmen.

Mit belastbar meine ich, mit Hilfe von Experten eine vollumfängliche detaillierte Berechnung der Treibhausgasemissionen durchführen zu lassen, nach dem internationalen Standard Greenhouse Gas Protocol (7). Und zwar für alle drei Scopes, also auch für den optionalen, aber so wichtigen Scope 3, der oft für 75 % oder mehr aller Treibhausgasemissionen eines Unternehmens verantwortlich ist.

Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren

Sobald dem Unternehmen dann der aktuelle Status-Quo zum Treibhausgasausstoß bekannt ist, sollte das Unternehmen im Rahmen seiner Klimastrategie Ziele und Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltwirkungen planen, nach dem Prinzip „Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren“.

Konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen haben Priorität, gefolgt von Reduzierungsmaßnahmen. Kompensation kommt nur für die nicht vermeidbaren Treibhausgasemissionen in Frage.

Wenn denn in einem späteren fortgeschrittenen Stadium – also in der Regel erst nach einigen Jahren der Umsetzung der Klimastrategie – das Unternehmen alle wesentlichen Möglichkeiten zur Vermeidung und Reduzierung von Treibhausgasemissionen ausgereizt hat, dann erst sollte es an Klimakompensation für die nicht vermeidbaren Treibhausgasemissionen denken.

Kostenloses Online-Tool nutzen: Klimaprojekte mit der CCQI-Methode nach Qualitätskriterien beurteilen

Die Schwierigkeit besteht für den Käufer von Klimaschutzzertifikaten darin, die zur Auswahl stehenden Klimaschutzprojekte hinsichtlich ihrer Qualität zu beurteilen. Doch genau dafür gibt es Hilfestellung.

Die Carbon Credit Quality Initiative (CCQI) (8) stellte 2022 ein Online-Tool vor, mit dem die Qualität von Emissionszertifikaten bewertet werden kann. Das Bewertungstool vergibt Punkte für die Qualität häufig genutzter Projekttypen bei der Klimakompensation. Das Tool wurde gemeinsam vom Environmental Defense Fund, dem World Wildlife Fund (WWF USA) und vom Öko-Institut entwickelt und steht kostenlos unter www.carboncreditquality.org  zur Verfügung.

Die Emissionszertifikate werden nach einer eigens entwickelten Methode bewertet, bei der sie auf einer Skala von eins bis fünf anhand mehrerer Qualitätskriterien (9) geprüft werden:

  • eine robuste Quantifizierung der Treibhausgasemissionen
  • Die Emissionsminderung in den Klimaschutzprojekten muss zusätzlich erfolgen.
  • Der Kohlenstoff muss möglichst dauerhaft gespeichert werden.
  • Emissionsgutschriften dürfen nicht doppelt gezählt werden.
  • Projekte müssen anspruchsvollen ökologischen und sozialen Anforderungen genügen.
  • Technologien müssen zum Übergang in eine emissionsfreie Zukunft der Gastgeberländer beitragen.

Nach Angaben des CCQI zeigten erste Auswertungen, dass ein Klimaprojekt bei einigen Qualitätskriterien gut und bei anderen schlecht abschneiden kann.  (10)

Mein Fazit:

In der Fülle der angebotenen Kompensationsprojekte die qualitativ guten und wirksamen zu finden ist nicht einfach. Zu oft wurde nachgewiesen, dass Klimaschutzprojekte die versprochenen Treibhausgasminderungen trotz der angeblich so strengen Standards nicht einhielten oder negative Wirkungen in anderen Bereichen mit sich brachten.

Besonders kritisch finde ich: Unternehmen stecken – häufig aus Marketinggründen –  zu früh viel Geld in Kompensationsprojekte, obwohl sie noch nicht alle wesentlichen Maßnahmen zur Vermeidung und Reduzierung von Treibhausgasemissionen umgesetzt haben. Letzlich sollen doch nur die nicht vermeidbaren Emissionen kompensiert werden. Das Geld, das für Klimakompensation ausgegeben wird, fehlt dann in den Unternehmen für Investitionen in den Klimaschutz.

Der Wandel zu einem Leben im Einklang mit Mensch und Natur beginnt – mit Dir!

Herzliche Grüße

Elke Vohrmann

 

Quellen (Stand 12.07.2023)

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Klimaneutralit%C3%A4t

(2) https://www.spiegel.de/wirtschaft/verbraucherschutz-eu-kommission-stellt-gesetz-gegen-greenwashing-vor-a-8e9c9268-f6ac-43f2-8d5d-bd8cd5d58607

(3) https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/immer-dreistere-verbrauchertaeuschung-durch-das-versprechen-angeblicher-klimaneutralitaet-deutsche-u/

(4) https://www.climatepartner.com/de/klimaschutzprojekte/projektstandards

https://www.atmosfair.de/de/uebersicht-kompensieren/pruefung-und-zertifizierung/

(5) Kritische Berichte zur Klimakompensation

(6) https://www.atmosfair.de/de/standards/waldschutzprojekte/

(7) https://de.wikipedia.org/wiki/GHG_Protocol

(8)  CCQI Online Bewertungstool www.carboncreditquality.org

(9) https://carboncreditquality.org/scores.html

(10) https://www.oeko.de/presse/archiv-pressemeldungen/presse-detailseite/2022/qualitaet-von-zertifikaten-zur-co2-kompensation-neues-interaktives-bewertungstool-online

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